»Man denke sich den folgenden dichterischen Charakter. Ein Mann, edel und leidenschaftlich, aber auf irgendeine Weise gezeichnet und in seinem Gemüt eine dunkle Ausnahme unter den Regelrechten ... vornehm als Ansnahme, aber vornehm als Leidender, einsam, ausgeschlossen vom Glücke, von der Bummelei des Glücks und ganz und gar auf die Leistung gestellt.« Was Thomas Mann 1907 noch auf Shakespeares 'Othello' bezog, gestaltete er selbst vier Jahre später zu Gustav Aschenbach in dieser »Novelle gewagten. wenn nicht unmöglichen Gegenstandes«, vom plötzlichen »Einbruch der Leidenschaft« in einen homoerotisch veranlagten Menschen. Der nicht mehr junge Schriftsteller Guslav Aschenbach - mit den Gesichtszügen Gustav Mahlers - entdeckt für sich am Lido des schwülwarmen Venedig die Gestalt des apollinisch schönen Knaben Tadzio und strebt in seinen Gedanken zu ihm, steigert sich in eine unerfüllbare Liebe und verspielt damit, nach einem Wort von Heinrich Mann, »was ihm das wünschenswerteste schien«.
Ohne seine eigene Intention zu verbergen, erklärte Thomas Mann später (1920 an Carl Maria Weber) Guslav Aschenbachs Sehnen nach Tadzio: » Es ist das Problem der Schönheit , daß der Geist das Leben, das Leben aber den Geist als 'Schönheitl' empfindet«. denn »der Geist, welcher liebt, ist nicht fanatisch... er wirbt, und sein Werben ist erotische Ironie...« Er wollte seine Novelle verstanden wissen als »Übersetzung eines schönsten Liebesgedichtes der Welt ins Kritisch-Prosaische, des Gedichtes, dessen Schlußstrophe beginnt: 'Wer das Tiefste gedacht , liebt das Lebendigste .'« (Hölderlin, 'Sokrates und Alkibiades')
Der 50-jährige, in München lebende Schriftsteller Gustav von Aschenbach,
der pflichtbewusst und diszipliniert arbeitend, sich auf der Höhe seines
öffentlichen Ruhms befindet, reist, von plötzlichem Fernweh und Reiselust
erfasst, nach Venedig. In der schwül-fiebrigen Atmosphäre der Lagunenstadt
verbringt er eine Reihe von Tagen in einem Zustand zunehmend aufgelöster
innerer Ordnung und Disziplin, in sinnlicher Zuneigung entflammt zu dem
im gleichen Hotel logierenden polnischen Jüngling Tadzio, bis er sich,
nach einer Verlängerung seines Aufenthaltes, in dem beginnenden Ausbruch
einer Cholera-Epidemie an frischem Obst infiziert und in der Schlussszene
am Meeresstrand sitzend stirbt.
;